WilerZeitung, 2. Mai 2011

Beichten beim Nachtklubportier

Im neuen Programm des Chanson-Duos «L’accœurdéoniste» haben sich Eva-Maria Froidevaux und Willi Häne den Liedern Hildegard Knefs zugewandt. Am Samstag war Premiere beim «Touch» im alten «Post»-Saal.

Michael Hug

FLAWIL. «Wir wollen heute Abend die Chansons von Hildegard Knef, die oft von den ganz einfachen Erfahrungen im Leben handeln, in Erinnerung rufen», sagte Eva-Maria Froidevaux zu Beginn des Konzertabends. «Die Komplexität der Welt hat seit den Zeiten der Knef ja noch einmal gewaltig zugenommen, aber doch sind es immer wieder die gleichen Erfahrungen, die wir alle machen.» Von diesen Erfahrungen, von Liebe und Leben, Schmerz und Leidenschaft, wurde am Samstagabend gesprochen beziehungsweise gesungen.

Lange erwarteter Auftritt
Es war des Duos lange erwarteter Auftritt in Flawil, dem Wohn- und Arbeitsort der Sängerin. Seit den Auftritten mit Piaf-Chansons hat sich herumgesprochen, dass «L’accœurdéoniste», die Stimme und das Akkordeon, wunderbar feine Musik machen. Ja mithin eine exzellente Ausdrucksform für die nur zum Teil hinlänglich bekannten Lieder der Interpretinnen Piaf und Knef gefunden haben. Denn, reell betrachtet, sind es doch nur drei, vier «Hits», die dem Normalverbraucher geläufig sind. Beide Frauen haben jedoch viel mehr Stücke im Repertoire gehabt, und auch deshalb bot der Chanson-Abend die Gelegenheit, nach Trouvaillen zu suchen und dabei einige Goldstücke zu finden.

Herzschmerz-Liebesgeschichten
Die Geschichte der schönen Columbine zum Beispiel: «Es war beim Bal paré, draussen lag schon der erste Schnee – da sprach ein Domino die Columbine an.» Eine herzliche Liebesgeschichte, die so endet wie herzschmerzliche Liebesgeschichten eben enden, nämlich himmeltraurig: «Doch wenn es aus ist, sollte man gehen – Hauptsache, es war schön, so schön, so schön!» Die Knef hatte den Song 1963 erstmals vertont, vor immerhin bald einem halben Jahrzehnt, und noch immer ist die Thematik akkurat. Liebe und der damit scheinbar unweigerlich verbundene Schmerz eben, der auch heutzutage noch von wahrlich Liebenden erfahren oder erfolgreich verdrängt wird. «Aber schön war es doch», sang die Knef ein Jahr früher – die Froidevaux setzte es ans Ende ihres Programms, das von den nahezu 100 Zuschauenden im alten Saal des Restaurants Bahnhof/Post frenetisch goutiert wurde. Wenn dann Eva-Maria Froidevaux knochentrocken sagt: «Ich habe in meinem Leben noch keine einzige Gesangsstunde gehabt», dann glaubt man ihr das schwer. Sie ist Autodidaktin, singt für das Leben gern und registriert und korrigiert sich nach eigenem Gusto und Urteilsvermögen. Doch das heisst nicht, dass sie unempfänglich ist für äussere Anstösse: «Willi hat gesagt, ich soll bluesig singen.» Sagts und tuts und fand damit ihre eigene Fasson für die ausgewählten Lieder, was ebendiesen gewiss nicht zum Unguten gereicht. Denn um die Knef zu kopieren, tritt Froidevaux nicht auf, aber ein wenig träumen gesteht sie sich dennoch zu – auch für die Flawilerin «Solls rote Rosen regnen». Ebenso will sie leben: «Ich brauch’ meine Strasse – die muffige Kneipe – ich brauch’ meine Beichten – beim Nachtklubportier» (aus: «Ich brauch’ kein Venedig»).-

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